Bezugsrecht gemäss Aktienrecht
Das Bezugsrecht soll die Aktionäre vor einer Stimmrechts-, Gewinnanteils- und Kapitalverwässerung schützen. Dieses fundamentale Aktionärsrecht ist in Art. 652b OR geregelt. Dabei ist auch festgehalten, dass der Beschluss der Generalversammlung über die Erhöhung des Aktienkapitals das Bezugsrecht nur aus wichtigen Gründen aufheben darf.
Im Zusammenhang mit der Festsetzung des Ausgabebetrags stellt sich die grundsätzliche Frage, ob und, falls ja, welche rechtlichen Schranken berücksichtigt werden müssen. Diese Frage stellt sich entweder der Generalversammlung oder aber dem Verwaltungsrat, falls dieser durch die Generalversammlung gemäss Art. 650 Abs. 2 Ziff. 3 OR ermächtigt wurde.
Verwässerung bestehender Aktionäre bei einer Kapitalerhöhung
Wenn ein bestehender Aktionär bei einer Kapitalerhöhung nicht mitziehen kann oder will, kann es darauf hinauslaufen, dass sich seine Aktionärsstellung verschlechtert. Verzichtet ein Aktionär auf die Ausübung seiner Bezugsrechte, verliert er in jedem Fall an Stimmkraft. Im Weiteren wird sein Gewinnanteil verwässert. Werden die neuen Aktien zu einem Betrag unter dem inneren Wert herausgegeben, erfährt er überdies eine Kapitalverwässerung. Erfolgt die Platzierung der Aktien hingegen zum inneren Wert, entsteht für den nicht zeichnenden Aktionär keine vermögensrechtliche Einbusse; der Verlust an Stimmkraft und Gewinnanteil bleibt aber in jedem Falle bestehen.
Festsetzung des Ausgabebetrags gemäss geltendem Aktienrecht
Vorweg muss grundsätzlich danach unterschieden werden, ob das Bezugsrecht der bestehenden Aktionäre formell ausgeschlossen wird oder nicht.
Wird das Bezugsrecht formell ausgeschlossen, ist allgemein anerkannt, dass der Ausgabebetrag beim inneren Wert der bestehenden Aktien anzusetzen ist.
Bei Kapitalerhöhungen unter Zulassung aller Aktionäre, d.h. unter Wahrung des Bezugsrechts, enthält das Aktienrecht hingegen keine explizite Regelung zum Ausgabepreis der neuen Aktien. Die Lehre äussert sich unterschiedlich zu diesem Thema. Soweit ersichtlich, gibt es bis anhin keine bundesgerichtliche Rechtsprechung, welche die Festsetzung des Ausgabebetrags unter dem inneren Wert der Aktie bei gleichzeitiger Gewährung des Bezugsrechts grundsätzlich als unzulässig erklären würde. Klarheit scheint einzig darin zu bestehen, als dass bei der Festsetzung des Ausgabepreises das Gebot der schonenden Rechtsausübung, welches eine Konkretisierung des Rechtsmissbrauchsverbots darstellt, berücksichtigt werden muss.
Damit ein Mehrheitsbeschluss das Gebot der schonenden Rechtsausübung verletzt, müssen die nachfolgenden vier Voraussetzungen erfüllt sein:
Liegt ein Verstoss gegen das Gebot der schonenden Rechtsausübung vor, so kann der infrage stehende Beschluss nach Art. 706 OR angefochten werden.
Festsetzung des Ausgabebetrags gemäss Aktienrechtsrevision
Der Vorentwurf 2014 zur Aktienrechtsrevision sah im neuen Art. 652b Abs. 4 vor, dass der Ausgabebetrag nur dann wesentlich tiefer als der wirkliche Wert festgesetzt werden darf, wenn das Bezugsrecht handelbar ist oder sämtliche an der Generalversammlung vertretenen Aktionäre dem Ausgabebetrag zustimmen.
Die Kommentare zum Vorentwurf 2014 zur Aktienrechtsrevision kamen – soweit ersichtlich – mehrheitlich zum Schluss, dass die Regelung insbesondere aufgrund des Einstimmigkeitserfordernisses zu eng und namentlich wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs des wirklichen Werts praxisfern sei und zu kostspieligen Bewertungsgutachten führen würde. Die im Zusammenhang mit dem Vorentwurf geäusserten Bedenken führten dazu, dass der zweite Satz des neuen Art. 652b Abs. 4 im Entwurf 2016 zur Aktienrechtsrevision vom Bundesrat wie folgt formuliert wurde:
«Durch die Aufhebung des Bezugsrechts oder die Festsetzung des Ausgabebetrags darf niemand in unsachlicher Weise begünstigt oder benachteiligt werden.»
Damit wird ausdrücklich erwähnt, dass nicht nur durch die Aufhebung des Bezugsrechts, sondern auch durch die Festsetzung des Ausgabebetrags niemand in unsachlicher Weise begünstigt oder benachteiligt werden darf.
Gemäss Botschaft des Bundesrats zum Entwurf 2016 zur Aktienrechtsrevision soll mit der neuen Regelung zum Schutz des Eigentums der Aktionäre ausgeschlossen werden, dass durch eine Kapitalerhöhung der Substanzwert ihrer Aktien verwässert wird, wenn sie sich nicht an der Erhöhung beteiligen können oder wollen. Legt die Generalversammlung die Modalitäten der Bezugsrechtsausübung oder den Ausgabepreis in missbräuchlicher Weise fest, so ist der betreffende Beschluss anfechtbar gemäss Art. 706 OR. Beschlüsse des Verwaltungsrats über den Ausgabepreis sind nicht anfechtbar. Hingegen bleiben Schadenersatzansprüche vorbehalten.
Tritt der neue Artikel unverändert in Kraft, wird der Ausgabebetrag zukünftig beim inneren Wert festgesetzt werden müssen. Es wird damit nicht mehr möglich sein, nicht mitziehenden Aktionären durch einen tiefen Ausgabebetrag eine starke Verwässerung ihrer Beteiligung aufzuzwingen. Nichtsdestotrotz wird die Frage bestehen bleiben, wie der innere Wert von Aktien zu bestimmen ist. Auf diese Frage wird im folgenden Abschnitt eingegangen.
Der Begriff und die Bestimmung des inneren Werts einer Aktie
Der Bundesrat spricht in der Botschaft zum Entwurf 2016 zur Aktienrechtsrevision vom «Substanzwert». Im Weiteren wird dazu ausgeführt, dass mit der neu vorgeschlagenen Regelung zum Schutz des Eigentums der Aktionäre ausgeschlossen werden soll, dass durch eine Kapitalerhöhung der Substanzwert der Aktien verwässert wird, wenn sich die Aktionäre nicht an der Kapitalerhöhung beteiligen können oder wollen. Die bisherigen Äusserungen in der Literatur gehen jedoch davon aus, dass der Substanzwert nicht im technischen Sinn verstanden werden soll, sondern als innerer Wert. Der innere Wert wiederum ist gemäss bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichts auf der Grundlage von Substanz- und Ertragswert zu bestimmen.
Der Ertragswert berechnet sich nach der gängigen Methode aus dem repräsentativen Gewinn der unmittelbar vorangehenden Geschäftsjahre, wobei ausserordentliche Gewinne und Verluste ausgeklammert werden, und der abschätzbaren Gewinnsituation des laufenden Geschäftsjahres, kapitalisiert mit dem angemessenen Kapitalisierungszinssatz.
Aus dem Substanzwert sind die nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerte auszuklammern. Diese werden (abzüglich der mit ihnen verbundenen latenten Steuerlast) gesondert ermittelt und zum Fortführungswert, der sich aus der Berücksichtigung von Substanz- und Ertragswert ergibt, dazugezählt.
Gemäss der «Praktikermethode» wird der betriebliche Substanzwert üblicherweise einfach und der Ertragswert doppelt gewichtet.
An der traditionellen Bewertung auf der Grundlage von Substanz- und Ertragswert und der darauf basierenden «Praktikermethode» ist insofern Kritik angebracht, als ein somit errechneter Wert nur dann massgebend sein kann, wenn die Vergangenheit mutmasslich auch für die Abbildung der Zukunft relevant sein soll. Eine solche Annahme ist jedoch genauso gewagt wie alle Prognosen im Zusammenhang mit der zukünftigen Entwicklung eines Unternehmens. Heutzutage wird in Unternehmen oftmals schnell mit der Vergangenheit gebrochen, was insbesondere auch auf die rasante Entwicklung der Digitalisierung zurückzuführen ist.
Die traditionelle Bewertungsmethodik ist geradezu unbrauchbar, wenn es um die Bewertung von Start-ups wie beispielsweise von Technologie-Unternehmen in der Frühphase geht. Wegen kapitalintensiver Entwicklungskosten zu Beginn des Lebenszyklus sind solche Unternehmen oftmals auch Jahre nach der Gründung noch in den roten Jahren. Trotzdem werden Aktien von privaten und institutionellen Investoren zu hohen Ausgabepreisen gezeichnet, weil sie von den positiven Aussichten auf zukünftige Cashflows überzeugt sind. Problematisch ist die Anwendung der traditionellen Bewertungsmethodik auch bei stark wachsenden Start-ups beispielsweise im Dienstleistungssektor, bei welchen in der Frühphase oftmals in den Personal- und Standortaufbau investiert wird, was sich in der Frühphase ebenfalls in roten Zahlen niederschlägt.
Als Konsequenz daraus wäre beim Vorliegen einer Bewertung auf der Grundlage von Substanz- und Ertragswert zu prüfen, ob deren Anwendung zu einem betriebswirtschaftlich unbefriedigenden Ergebnis führt. Davon ist auszugehen, wenn das Bewertungsergebnis wesentlich von dem eines anerkannt korrekten Zukunftserfolgsverfahrens wie beispielsweise einer Bewertung nach der Discounted-Cashfl ow-Methode abweicht.
Fazit
Das geltende Aktienrecht sieht vor, dass bei einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss sämtliche Aktien zum inneren Wert ausgegeben werden müssen. Bei Gewährung der Bezugsrechte kann die Frage jedoch nicht eindeutig beantwortet werden, ob die Aktien zum inneren Wert ausgegeben werden müssen oder ob der Ausgabepreis auch darunter angesetzt werden darf. Klar ist nur, dass ein offensichtlich rechtsmissbräuchlich angesetzter Ausgabebetrag unzulässig ist.
Tritt die Revision des Aktienrechts unverändert in Kraft, wird insofern Klarheit geschafft werden, als eine Ausgabe unter dem inneren Wert zukünftig nur unter speziellen Umständen zulässig sein wird, unabhängig davon, ob das Bezugsrecht gewahrt wird oder nicht. Jedoch wird auch zukünftig unklar bleiben, wie der dem inneren Wert entsprechende Ausgabebetrag zu bestimmen ist. Eine Bewertung auf der Grundlage von Substanz- und Ertragswert, wie beispielsweise basierend auf der «Praktikermethode», wird in diesem Zusammenhang auch zukünftig ein probates Hilfsmittel sein, jedoch nur dann, wenn von stabilen Verhältnissen in der Vergangenheit und der Zukunft ausgegangen werden kann. Führt eine solche Bewertung jedoch zu einem betriebswirtschaftlich unbefriedigenden Ergebnis, sollten auch anerkannte Zukunftserfolgsverfahren zur Anwendung gelangen.
Stand, 30.1.2019
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